Eine sehr organische Woche

Veröffentlicht von leitmedium am

»PAPA?!«, brüllt es aus dem Telefon. »PAPA?! Gibt es Bob der Baumeister bei Spotify oder Tidal?«. Es ist Montagmorgen, ich erhole mich im Büro vom Wochenende (das auch schön war) und K2 hat sich zu Hause wieder ans Telefon geschlichen. Das liebe ich ein bisschen, aber sage ich nicht, weil es ärgerlicherweise Geld kostet, wenn er mich damit anruft. Das ist ein Festnetztelefon. Also eigentlich nicht, weil Festnetz ist ja jetzt nur noch so getan mit über Internet. Sowas haben wir jetzt jedenfalls wieder. Wegen der Kinder. Die tippen dann so drauf rum, sind enttäuscht, dass es kein Touchscreen hat, aber immerhin, man kann Mama und Papa mit anrufen. Das macht K2 jetzt jeden Tag und es werden wichtige technische Probleme besprochen. »Guck doch mal bei Spotify und dann bei Tidal« antworte ich. »MAMA! Papa hat gesagt, erst bei Spotify und dann bei Tidal. PAPA?! Gibt es das bei Spotify oder Tidal?!« Ich gehe immer in einen anderen Raum und mache die Tür zu, weil die Kinder immer so laut ins Telefon brüllen, dass ich befürchte, im Universitätsgebäude nebenan wird gleich eine Vorlesung abgebrochen. »Probier es doch« antworte ich ruhig. »Papa hat gesagt, ich soll es probieren! Tschüss Papa!« Klick.

Noch besser als die Telefonanrufe sind ja die Videokonferenzen. Die bestehen eigentlich immer daraus, dass ich einen Haarschopf sehe. Also ausschließlich. Dann denke ich immer drüber nach, an welche Comicfiguren mich das erinnert. Irgendwer aus Charly Brown vielleicht?

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Hallo, Papa?!

Das Wochenende jedenfalls war ja jetzt nicht so. Dabei hatte es ganz gut angefangen. Laternenbasteln im Kindergarten. Okay, ich lüge. Ich habe mich zu Tode gegruselt davor. Ist ja nicht das erste Mal. Alle Aktivitäten im Kindergarten machen mich fertig wegen dieser kleinen Stühle. Zuerst berechne ich immer, ob sie unter mir zusammenbrechen und dann, ob sie vielleicht einfach in meinem Gesäß verschwinden. Die sind wirklich so klein, das ist doch erwachsenenverachtend. Nach Elternabenden bin ich immer drei Monate krank geschrieben wegen Rücken durch Ministuhl. Diesmal war ich schlau und hab mich hingekniet. Jetzt hab ich Knie, aber davon habe ich immerhin zwei.

Der Sohn durfte sich aussuchen, welche Laterne er bauen will. Ich habe ja so ein wenig auf so was mit Papier und Kerze gehofft. Nein, er wollte eine abgeschnittene Plastikflasche mit Elekroleuchte. Technokind. Ich rede mir ein, Upcycling sei ja was Gutes und werfe mir vor, dass wir einfach zu viel Holzspielzeug haben. Das kommt dann eben davon. Auf Anweisung hin klebe ich mit Kleister bunte Papierfetzen auf eine Flasche und schneide eine Rakete und Sterne aus. Gott, wie mich klebrige Finger hibbelig machen. Wenn dann die Fingerkuppen so überall anpappen. Und gleichzeitig fragst Du Dich, ob es nicht schummeln ist, wenn andere Eltern „schon mal was zu Hause vorbereitet“ haben. Wer macht denn sowas? Wo nehmen die die Zeit her? Bestimmt so Einkind-Eltern (Ihr solltet mal Mehrkind-Eltern über Einkind-Eltern reden hören). Ein Erzieher kommt zwischendurch vorbei und fragt, ob jemand schon am Verzweifeln sei. Allein die Frage beruhigt mich etwas. Sohn ist mit beklebter Plastikflasche zufrieden, dann bin ich es auch. Und: keine Bastelmuttihölle hier. Das ist doch was.

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Laterne mit Handy, Mond, Sternen, Glitzer und Rakete (auf der Rückseite)

Der Sonntag aber, man, der Sonntag. Innerhalb weniger Sekunden, man muss es in Zeitlupe erzählen, ereignete sich Folgendes: Babysohn stürzt Kopfüber aus dem Bett und es rummst. Alle rufen durcheinander, ich schiebe K2 vom Ort des Geschehens weg. Der fällt hinterrücks aufs Bett und blickt mich vorwurfsvoll an. Es klingelt an der Wohnungstür und irgendwer kommt. Schon vergessen. Babysohn scheint wohlauf, wenn auch mit Beule, K2 muss von mir eine halbe Stunde wegen des Umschubbsens getröstet werden.

Das wäre ja genug für einen Sonntag gewesen, nur kotzt K2 plötzlich auf der Straße vor mein Lieblingscafé. Elternschaft ist ja nichts für Menschen mit Emetophobie. Hoffe, sie haben es im Café nicht gesehen. In die eine Eisdiele, in die K1 zwei Mal gekotzt hat, gehen wir ja nicht mehr. Genau genommen hat K2 ja hier auch gleich zwei Mal gekotzt. Pommes mit Ketchup. Bestelle ich neuerdings immer ohne Salz, dann kriegt man nämlich Frische. Sieht jedenfalls auch verdaut immernoch gelb-rot aus. Gut, dass ich das jetzt weiß. Jedenfalls fragt man sich ja als Elter in solchen Situationen immer, woran das Kind wohl gerade stirbt, weil man ja doch immer so ein wenig Angst hat und Oh mein Gott, ich habe das Kind gehirnerschüttert vorhin!

Zu Hause dann das übliche Wälzen von Gesundheitsbüchern, in denen man so lange liest, bis man eine Variante gefunden, die einem gefällt. Oder man googlet. Das ist auch nicht besser. Leider steht bei Gehirnerschütterungen immer „wenn Kotzen, dann Krankenhaus“. Aber was denn nun? Vielleicht ja doch nur eine Magenerkrankung? Man will ja auch nicht schon wieder in die Notaufnahme. Bei Gehirnerschütterung passiert dann eigentlich nichts außer, dass man so zur Beobachtung da ist. Dabei beobachtet einen niemand, weil man in einem Zimmer sitzt und die Wand anstarrt.

So ein kotzendes Kind kann ja innerhalb von fünf Minuten die komplette Wohnung ruinieren. Diesmal waren wir schneller und haben den Teppich eingerollt. Man kriegt ja für alles Routine. K2 geht es etwas schlechter, aber immerhin, es zeichnet sich ab: keine Gehirnschütterung. Oder doch? Man, hab ich schlecht geschlafen die Nacht. Mit so Selbstvorwürfen, dass ich das Kind zur Gehirnerschütterung geschubbst habe. Hatte ich ja nicht, aber jetzt sah es so aus.

Am nächsten Morgen. »Papa, kann ich Saft trinken?« – »Du hast gestern gekotzt. Du solltest jetzt nur was sanftes zu Dir nehmen. Einen Bäuchleintee vielleicht?«. »Aber ich will Saft!«. »Es ist Dein Körper. Du kannst das entscheiden, ob Du es trotzdem machen willst. Aber ich sage Dir, dass es keine gute Idee ist.« Kind nickt andächtig, denkt kurz nach greift zum Glas. Trinkt Saft und kotzt sofort unter den Essenstisch. Ich muss kurz kichern, Kind auch. »Weißt Du jetzt, was ich meine?«. »Ja. Ich glaube, ich trinke lieber keinen Saft mehr.« Selbst lernen ist ja auch ein bisschen blöd, aber was soll‘s. Kind hat eigene Entscheidung getroffen. Besser als sich grundlos bevormundet fühlen. Und fürs nächste „mach das lieber nicht“ habe ich jetzt einen Vorschusspunkt.

Apropos Kotzen und Lernen, eins noch: Letzte Woche war Schulanfang. Erster Schultag morgens, aufgeregtes Suchen nach der Brotdose. War natürlich seit zwei Wochen im Ranzen und ach Du Neune kann Essen schimmeln. K1 bekommt einen Nervenzusammenbruch. Wurde ja mehrfach in den Wochen davor aufgefordert, den Ranzen zu leeren. Jaja. Hmm. Ja, Brotdose hätte sie ausgeleert. Der Bitte, doch jetzt dann mal die verschimmelte Brotdose zu leeren konnte aufgrund eines akuten Schwächeanfalls leider nicht nachgekommen werden. War wie immer meine Aufgabe. Bin ja für das Eklige zuständig. Ist so ein ungeschriebenes Gesetz: Ist es besonders eklig, ist Caspar dran. K1 jedenfalls wird wahrscheinlich in den nächsten Ferien doch noch mal nachsehen, ob die Brotdose noch im Ranzen ist. Nur so rein prophylaktisch.

Platzhalter für das Foto der Brotdose, das ich gemacht habe, aber weil ich nett bin, hier doch nicht einfüge.

Und ein Update zum Versuch, mit IKEA eine Küche zu planen. Sie haben ganz super duper IKEA-freundlich eine erste Ansicht geschickt. Leider haben sie die Küche so geplant, dass man jetzt unter dem Tisch durchkrabbeln muss, um ins Wohnzimmer zu kommen. Hab ich ihnen geschrieben, dass das eine tolle Idee sei und bestimmt sehr schwedisch modern. Fanden sie nicht so lustig. Jetzt kriegen wir wohl doch eine Küche ohne Bällchenbad und Krabbelbereich. Teilt man mir am Freitag dann per Skype mit. Ausgerechnet Skype. Das ist in meiner „oh, nein“-Liste von Programmen nur knapp vor Excel. Ob ich dann auch jemanden sehe? Wie sieht Herr oder Frau IKEA aus? Ich hoffe, ich sehe mehr als nur einen Haarschopf.

Habe die Krabbelecke abgeschnitten. Da geht es nämlich in Richtung Wohnzimmer.

Habe die Krabbelecke abgeschnitten zurückgeschickt. Da geht es nämlich in Richtung Wohnzimmer. Frage mich, warum da eigentlich jemand zum Vermessen war. Oder macht man das jetzt so?

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Kategorien: Montagspost

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Parteiloser Postprivatier.

6 Kommentare

Simone · 9. November 2016 um 15:25

Über den im Gesäß verschwindenden Stuhl habe ich jetzt echt sehr laut (und ein bisschen hysterisch) gelacht. Danke dafür!!

Steffi · 10. November 2016 um 0:23

Tränen gelacht! Herzlichen Dank! <333

franzi · 10. November 2016 um 20:58

ich habe ja die ganze zeit gelacht!
danke

Tany · 11. November 2016 um 21:19

Herrlich! Dein Schreibstil ist einfach genial.

Marlene · 13. November 2016 um 14:25

Herzhaft gelacht, vielen Dank ?

Knisternder Saft, Schummel-Lebkuchen und unerklärliche Baby-Pflanzenwut - vier plus eins · 14. November 2016 um 22:29

[…] Weihnachtszeit war jetzt immerhin schon St. Martinszeit. Eine Upcycling-Laterne habe ich letztens tapfer gebastelt. Jetzt gab es eine kurzfristige Einladung zu einem Umzug an einer Kirche – mit Pferd. Wie […]

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